18 Wochen unter freiem Himmel: Marthas Langzeiterfahrung in Ecuador

Südamerika ist bunt und laut  

Südamerika bzw. Ecuador ist toll! Das Leben ist bunt, laut, lustig, unkompliziert und fröhlich. Uns Europäern gegenüber können Ecuadorianer*innen jedoch teilweise auch mal sehr schüchtern sein. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass wenn ich erstmal jemanden angesprochen hatte, derjenige sich total gefreut hat und super hilfsbereit und euphorisch war, mich kennenzulernen.

Die andere Seite ist dann das Macho-Gehabe der Kerle und die damit einhergehende Angst unsererseits… Ich bin hellblond und hab super helle Haut. Natürlich musste ich mir ständig Sprüche und Pfiffe anhören. Auch wenn ich dunklere Haare hätte, wäre das nicht gerade anders. Wir fallen schlichtweg auf und die Leute dort finden uns einfach super hübsch. Daher sind die Sprüche im Normalfall überhaupt nicht blöd gemeint, sondern ein ernst gemeintes Kompliment. Entweder man ignoriert das einfach oder man lächelt nett, bedankt sich und geht weiter. Mehr passiert dann auch nicht. Solang du selbst also gut gelaunt bist und das ganze mit einem Schmunzeln nimmst, ist es ja eigentlich auch mal ganz cool, ständig gesagt zu bekommen, wie hübsch man doch ist ;)

Anfängliche Enttäuschungen und Einsamkeit

Als ich im Camp ankam, war ich erstmal ein kleines bisschen enttäuscht. Da das Camp gerade umgezogen war (Ende August 2017), war alles ein vollendetes Chaos und es war unglaublich unorganisiert. Dazu kam, dass erstens nicht besonders viele Freiwillige dort waren und zweitens die meisten von ihnen Deutsche waren. Das mit den Freiwilligen ist eine reine Glücks- oder Pechsache. Es gibt Wochen, da sind 10 Leute oder mehr im Camp. In anderen Wochen kann man auch mal nur zu dritt sein. Das wechselt ständig und ist unvorhersehbar.

Da dem Camp in anderen Ländern als Deutschland noch gehörig Publicity fehlt, fehlt es oft an Freiwilligen, und so ist es mir zum Beispiel passiert, dass ich eine Woche lang sogar mit Jorge (dem Campleiter) allein im Camp war. Das hatte ich anders erwartet und war deshalb auch etwas enttäuscht. Da gab es dann schon mal Momente, in denen ich mich ein bisschen allein gefühlt hab. Aber Jorge arbeitet Tag und Nacht, um mehr Freiwillige zu gewinnen, damit das nicht nochmal passiert. Er hat sich damals echt total Sorgen um mich gemacht und alles gegeben, um mir eine schöne Woche zu machen.

Zelte, Moskitos, schlechtes Internet, Regen Das Leben ist nicht immer ein Ponyhof  

Das alles sind Umstände, an die man sich erstmal gewöhnen muss, oder an die man sich vielleicht auch nie gewöhnen wird. Der Standard des Camps ist definitiv sehr simpel… Die Zelte sind nicht immer komplett dicht, es gibt viele Moskitos, besonders in der Regenzeit, das Internet fällt manchmal aus, der viele Regen in der Regenzeit ist ziemlich nervig und ungemütlich, man ist non-stop dreckig und die Kleider werden auch niemals richtig sauber, es gibt nur kaltes Wasser,… Es ist nicht jedermanns Sache, aber trotz großer Angst vor Spinnen hab ich gerade dieses simple Leben sehr geliebt!

In der Trockenzeit könnte es klimatechnisch kaum angenehmer sein. Es ist niemals so kalt, dass man frieren würde. Tagsüber hatte ich T-Shirts und kurze Hosen an. Abends zieht man sich eine lange aber dünne Leinenhose oder mal ne lange Jeans und einen Pulli an. Nur in der Regenzeit kann es manchmal unangenehm werden mit dem ewigen Regen, dem matschigen Boden und den vermehrten Mücken. Regenzeit ist etwa von Ende Dezember bis Anfang April. Mit ein oder zwei Tuben NoBite sind die Moskitos kaum ein Problem. Jeder hat sein persönliches Zelt mit einer gemütlichen und dicken Matratze. Es gibt ein regenfestes Gemeinschaftszelt bzw. mittlerweile sogar ein kleines Bambushäusschen, soviel ich weiß, wo man den Tag mit den anderen Freiwilligen im Schatten und im Trockenen verbringt.

Jorge ist sehr gut über gefährliche Spinnen, Schlangen oder sonstiges und über Medikamente und Behandlungen aller Art informiert. Prinzipiell hat er sich rührend und professionell um jedes Problem, das ich hatte, gekümmert. Er hat mich zu Ärzten begleitet, damit ich sprachlich zurechtkomme (er spricht richtig gutes Englisch) und hat jeden Freiwilligen regelmäßig gefragt, ob alles in Ordnung sei, ob ihn etwas störe usw. Er kann Kritik gut vertragen und freut sich über jeden Verbesserungsvorschlag oder neue Ideen.    

Südamerikanische Spontaneität, Kreativität und Improvisation Für mich oft eine reine Geduldsprobe

Prinzipiell lief bei allem, was wir so getan haben immer viel schief oder jedenfalls nicht nach Plan. Mich hat erstmal geschockt, wie unorganisiert alles abläuft und als ungeduldiger Mensch kann das auch oft richtig nerven. Immer wieder aufs Neue wurde ich auf eine Geduldsprobe gestellt und musste ruhig bleiben und improvisieren, bis ich im Nachhinein verstand, dass ja doch alles gar nicht so schlimm war und unser Campleiter wie immer alles im Griff hatte. Doch so ein bisschen europäische Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit von Seiten der Freiwilligen schadet ihm ganz bestimmt nicht ;)   Auf jeden Fall hab ich gelernt, dass alle Probleme mit viel Spontaneität, Geduld und Kreativität zu lösen sind.

Ein Beispiel: Wir waren gerade dabei, Abendessen zu kochen, da ging der Herd aus, weil das Gas leer war. Leider hatten wir vergessen, eine neue Gasflasche zu besorgen. Daher gingen wir Feuerholz und Heu sammeln, um ein Feuer zu machen. Dann haben wir einige dicke Holzstämme so aufeinander gelegt, dass man die Töpfe gut über das Feuer stellen konnte. Bis das Essen dann endlich mal fertig war, mussten sich unsere Mägen zwar ordentlich gedulden, aber letztendlich hatten wir dann unser Abendessen.  

Herausforderung Selbstständigkeit  

Der Campleiter versteht sich selbst nicht gern als CampLEITER. Stattdessen überlässt er den Freiwilligen eine gewisse Freiheit, erwartet aber auch Selbstständigkeit, eigene Ideen und Verantwortung von ihnen. Oft bin ich voll ins kalte Wasser gesprungen und hab mir das alles gar nicht zugetraut. Auf der anderen Seite hat es mich auch stolz gemacht, was für ein Vertrauen mir geschenkt wurde und wie viel ich doch schaffen kann, ohne es vorher gedacht zu haben.      

Selbstverständnis und Zielsetzung des Projekts

Proyecto Árbol (so der ecuadorianische Name des Projekts) versteht sich selbst NICHT als eine NGO, die Leute in Not rettet. Die Freiwilligen arbeiten also nicht als „die Europäer“ von oben herab, sondern Hand in Hand mit den Leuten vor Ort. Das Projekt und die Freiwilligen sind mittlerweile Teil der Nachbarschaft geworden. Sie leben in Gemeinschaft mit den Menschen dort und stehen im ständigen Austausch miteinander.

  • Wir helfen ihnen, sie helfen uns.
  • Wir lernen etwas von ihnen, sie lernen etwas von uns.
  • Wir schenken ihnen Samen und Pflanzen, sie schenken uns andere Samen und Pflanzen.
  • Wir helfen ihnen bei der Ernte, sie schenken uns einen Teil ihrer Ernte.  

Ein Beispiel: Niemals würden WIR ein Haus FÜR die Menschen dort bauen. Wir bauen das Haus MIT den Menschen ZUSAMMEN. Wir überlegen also gemeinsam mit ihnen, welche Projekte realisierbar sind, und wie wir uns gegenseitig helfen können, damit wir alles schaffen. Zum Beispiel haben die Leute ein Quelle, wo sie Material herbekommen können. Wir haben dagegen das Wissen, wie man das Haus bauen kann.  

Dieses gegenseitige Geben und Nehmen ist auch einer der Lebensgrundsätze der Permakultur. Denn bei Permakultur geht es nicht nur um nachhaltige Landwirtschaft. Es ist eine gewisse Lebensgrundeinstellung. Jorge erzählt seinen Freiwilligen viel davon, da er selbst so begeistert ist. Auf mich ist der Funke auf jeden Fall übergesprungen, obwohl ich mich vorher überhaupt nicht dafür interessiert hatte. Permakultur ist jetzt auf jeden Fall zum Schwerpunkt des Projekts geworden. Es geht nicht mehr darum, Katastrophenhilfe zu leisten, wie das vor einem Jahr noch der Fall war. Ziel ist es, landwirtschaftliche und gesellschaftliche Systeme aufzubauen, die ähnlich effizient funktionieren wie natürliche Ökosysteme.

Das Leben in den Dörfern, Freizeitmöglichkeiten und Nachtleben  

Die umliegenden Dörfer sind sehr klein und ruhig. Fast jeder Kerl dort ist Fischer und diese lümmeln den ganzen Tag am Strand rum, fischen, liegen in den Hängematten und quatschen. Die Frauen sind fast immer mit Einkaufen, Kochen und den Kindern beschäftigt. Die Kinder gehen in die Schule im Nachbarort und spielen ansonsten gemeinsam auf den Dorfplätzen. Oft gibt es am Wochenende ein großes Volleyball-, Fußball- oder Basketball-Turnier auf dem Dorfplatz. Da kommt dann das gesamte Dorf von Jung bis Alt zusammen.  

Der Strand ist ganz nah und wunderschön. Man läuft vom Camp etwa 3 Minuten dort hin. Um zum etwas größeren Dorfteil zu kommen, läuft man etwa 15 Minuten direkt am Strand entlang (das ist wohl der beste Weg zur Arbeit, den man sich nur vorstellen kann!). Wir haben eine kleine Stammbar am Strand, mit dessen Besitzer wir sehr gut befreundet sind. Ansonsten kann man am Strand super spazierengehen, sonnenbaden, manchmal auch surfen (es gibt ein campeigenes Surfbrett) und das Wasser hat zum Baden eine total angenehme Temperatur.  

Außer dem Strand und dem Dorfplatz ist dann allerdings nicht mehr viel los. Ins nächstgrößere Nachbardorf (Jama) fährt man ca. 15 Minuten Bus. Dort gibt es dann ein paar Einkaufsmöglichkeiten. 40 Minuten mit dem Bus geht’s dann in die nächste kleine Stadt (Pedernales) mit sehr viel mehr Einkaufsmöglichkeiten (z.B. ein großer Supermarkt) und einem großen Strand mit ein paar Bars. Außerdem findet man dort viele gute Ärzte (ich habe sehr gute Erfahrungen mit der ärztlichen Versorgung gemacht). Busse fahren jeden Tag etwa im 20 Minuten-Takt sowohl nach Jama, als auch nach Pedernales. Das Nachtleben haben wir uns dann eben eher selbst aufgebaut. Im Camp haben wir uns ständig selbst Cocktails gemischt und unsere Stammbar hat gutes, eiskaltes Bier.  

Da dieses ganze Gebiet vom Erdbeben fast komplett zerstört war, sind keine dieser Städte und Dörfer besonders attraktiv und es wird an jeder Ecke gebaut. Freizeitmöglichkeiten gibt es kaum, aber wenn man gern am Strand ist, mal einfach ein Buch liest, spazieren geht oder in der Stadt das bunte Treiben der Einheimischen beobachtet, dann wird einem bestimmt nicht langweilig. Außerdem werden immer mehr Kontakte zu Nachbarn geknüpft, wodurch sich auch viele Möglichkeiten der Unterhaltung öffnen.

Beispiel: Wir haben in Pedernales eine Gruppe von Jugendlichen entdeckt, die Straßentheater macht.            

Ein tolles Gefühl

Ein unglaubliches Gefühl hatte ich, als ich den Mangold gegessen habe, für den ich eigens das Hochbeet gebaut, die Erde im Wald gesammelt, und die Samen gesät hatte. Wir haben ihn jeden Tag gegossen und ihm über Wochen hinweg beim Wachsen zugeschaut. Und das war nur ein Beispiel. Wir konnten ständig wieder neues Gemüse ernten. Das macht richtig Spaß!    

Ein anderer schöner Moment war, als ich nach wenigen Wochen merkte, wie ich so langsam alle Vorgänge, im Camp verstanden hatte, wusste, wo ich welche Werkzeuge und Materialien finde, und auch die meisten Familien in den Dörfern kannte. Dann kann man nämlich richtig eigenständig arbeiten und erst dann macht es so richtig Spaß!